Aug 112011
 

Nein, ich bin kein Anhänger von Sachbeschädigungen und Gewalt. Wenn Menschen aus ihren Autos gezerrt und letztere demoliert, Häuser in Brand gesteckt und kleine Geschäfte geplündert und deren Besitzer somit um ihre Existenz fürchten müssen, dann ist das natürlich verurteilenswert.

Aber: die Situation von Jugendlichen und Erwachsenen, die scheinbar jede Zukunftsperspektive verloren, sprich: „nichts zu verlieren“ haben, wird, neben der obligatorischen Sensationsgeilheit an den Zerstörungen, endlich wieder in die Medien und damit ins Gerede.

Bis dahin beherrschte nämlich ein anderes Thema die Medien weltweit: die „Schuldenkrise“ in den USA und Europa, die ängstlichen, sensiblen (Aktien)märkte und deren „dramatische“ Verluste, die unter „Fieberkurven“ leiden.

Die Menschen, die durch das Jonglieren mit Phantasie-Zahlen an den Märkten reale Einschnitte in ihrem täglichen (Über)leben erfahren müssen, wurden bisher fast immer komplett ausgeblendet: die von gierigen Investmentbankern und Großunternehmen, von selbsternannten „Wirtschaftsexperten“ verursachten Krisen dürfen von der Masse der Bevölkerungen bezahlt werden. Nicht nur durch Kürzungen im Sozialbereich und durch das Zurückfahren von Leistungen der staatlichen Wohlfahrt bleiben dadurch große Teile der Bevölkerung auf der Strecke.

Es ist nachvollziehbar,  wenn auch sicherlich nicht richtig – dass einige „Randalierer“ nun ihren Frust und ihre Wut an der Gesellschaft aus lässt, die ihnen keine reelle Perspektive auf eine bessere Zukunft bieten kann. Man holt sich nun das, was einem die Konsumwelt Tag für Tag als Karotte vor die Nase hält, das diese Jugendlichen aber auf legalem Weg nie bekommen hätten – von den teuren Sportschuhen  bis zum LCD – Fernseher jetzt eben durch Raub und Plünderungen.

Das die Politik wieder einmal die falschen, oder zumindest zu wenige Schlüsse aus den Geschehnissen zieht, war zu erwarten: allein die Schlagzeile „Premier David Cameron will gegen Unruhestifter hart durchgreifen“ sagt schon mehr als genug. Statt zu hinterfragen, in welchem Zustand sich Teile der westlichen Gesellschaften in einem solch miserablen Zustand befinden und welche Mitverantwortung dabei die herrschende Politik und die Marktideologie tragen, soll die Gewalt durch staatliche Gegengewalt beantwortet werden.  Dabei hat Cameron Recht, wenn er meint „es gibt Teile unserer Gesellschaft, die nicht nur kaputt sind, sondern ganz eindeutig krank“ – aber die Antwort auf die Frage nach dem „Warum“ bleibt er schuldig.

„Den Leute kommt vor, dass die Welt ihnen etwas schuldet, dass sie mehr Rechte als Pflichten haben“ meint er, und hat unrecht. Den Leuten fehlt wohl zu einem Großteil die Möglichkeit, die Verhältnisse, in der sie leben, zu verändern, aus ihnen auszubrechen.  Weil sich die Politik, aber auch Teile der Mehrheitsgesellschaft einen Dreck um ihr Schicksal schert. Das zeigt zum Beispiel das miserable öffentliche Bildungssystem in England. Aber so etwas kann sich ein Politiker wie Cameron, der aus einer elitären Schicht stammt und dessen Kinder in teure Privatschulen gehen wohl nicht vorstellen.

Das wirklich Positive an den Ausschreitungen in London ist, dass jetzt dadurch soziale Situationen wieder in den Medien diskutiert werden. Traurig allerdings, dass friedliche Proteste wie die in Spanien „#yeswecamp“ totgeschwiegen werden, während Randale wie in London offenbar die einzige verbliebene Möglichkeit sind, gehört zu werden. Ob’s  wohl daran liegt, dass die meisten  Medien gewinnorientierte, teilweise börsennotierte Unternehmen sind?

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